Spirituelles Erwachen – ein Witz

Was ist eigentlich gemeint, wenn über spirituelles Erwachen gesprochen wird? In diesem Text geht es um spirituelles Erwachen mit Hilfe des Konzepts der 10 Fesseln wie Buddha sie beschrieben hat.

Was ist spirituelles Erwachen?

Erwachen ist genau das Gegenteil von dem was gemeinhin angenommen wird. Du schwebst nicht plötzlich über den Dingen – eher ist es Okaysein.

Es ist auch nicht so, dass dich nichts mehr berührt. Im Gegenteil ist alles unmittelbar – auch die Emotionen.

Es ist auch nicht so, dass du plötzlich alles weißt und immer die passende Antwort hast. Im Gegenteil, weißt du, dass du gar nichts weißt – und auch gar nichts wissen kannst.

Du bist auch kein immer „guter Mensch“ geworden. Denn in diesen Kategorien denkst du gar nicht mehr.

Erwachen bedeutet nicht, dass du magische Fähigkeiten erlangst. Oder, dass du ein erwachter Jemand wirst. Es wird niemand bemerken. Und die meisten würden es eh lächerlich finden, wenn du es erzählst. Du wirst niemand besonderes sein. Du wirst dich auch nicht so fühlen.

Es gibt viele irrige Annahmen über das Erwachen.

Erwachen ist eigentlich ganz einfach. Alles, was wir wissen müssen ist offensichtlich. Es gibt keine versteckten Geheimnisse oder Mysterien, die ergründet werden müssen.

Aber wir denken so kompliziert – wie wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.

Wir schauen wie durch eine Brille, die alles verzerrt.

Spirituelles Erwachen ist das Ende des Leidens. Und das Leiden endet, wenn wir sehen, was ist.

Wie erwachen?

Buddha gibt dazu eine einfache Anleitung.

Der Sucher, ein Mann aus Bahiya, hat es sofort begriffen.

Und das hat der Buddha gesagt.

Was das angeht, Bāhiyer, kannst du dich so üben:
Gesehenes gelte dir nur als Gesehenes,
Gehörtes nur als Gehörtes,
sinnlich Erfahrenes nur als sinnlich Erfahrenes,
Erkanntes nur als Erkanntes.
So kannst du dich üben, Bāhiyer.
Wenn dir Gesehenes nur als Gesehenes,
Gehörtes nur als Gehörtes gelten wird,
sinnlich Erfahrenes nur als sinnlich Erfahrenes,
Erkanntes nur als Erkanntes,
dann, bist ‘du’ nicht ‘dort’ Bāhiyer,
dann ist ‘das’ nicht ‘deine’ Sache,
dann Bāhiyer,
bist ‘du’ weder ‘hier’ noch ‘jenseits’ noch ‘dazwischen’:
Das eben ist das Ende des Leidens.

Udana 1.10, Übers. Fritz Schäfer

Was bedeutet „im Gesehenen nur das Gesehene“?

Buddha sagt, dass es 7 Filter (Fesseln, Annahmen) gibt, die den Blick verzerren auf das, was wirklich ist.

Wenn du etwas anschaust, zum Beispiel das Teeglas auf deinem Tisch, dann denkst du vielleicht: Ja, ich sehe das Glas. Und ich sehe nur das Glas. Nichts anderes. Ich kann das Glas sehen.

Und genau hier liegt schon die erste Interpretation, der erste Filter: Dass du das Glas siehst.

Diesen Filter zu entfernen ist recht leicht.

Lerne zu differenzieren zwischen dem was du denkst – denn das woran du denkst ist nicht wirklich da – und dem, was du erlebst, was wirklich da ist. Das was wirklich da ist kannst du sehen, hören, spüren, riechen, schmecken. Das ist das Leben durch das der Körper geht. Alles andere ist Fiktion. Finde heraus, was du in das Erleben hinein interpretierst, hinzudenkst.

Ich Illusion

Es fängt damit an, dass du die Interpretation Ich sehe, Ich höre, Ich spüre, Ich denke, Ich entscheide, Ich handel untersuchst.

Ist das wahr?

Schaue einfach nach, ob es ein Ich im Erleben gibt. Beziehungsweise, ob es zusätzlich zum Erleben ein Ich gibt.

Erleben ist alles außer Gedanken. Denn das, an was du denkst, ist nicht real. Es ist ein Gedanke. Vielleicht ein Erinnerungsgedanke. Oder ein Zukunftsgedanke. Wenn du zum Beispiel an deinen nächsten Urlaub denkst, dann bist du nicht dort.

Wenn diese Ich Illusion wegfällt – ist das der Beginn. Der erste wichtige Schritt zum Erwachen.

Wenn du die Ich Illusion durchschaut hast, verstehst du plötzlich, worüber all die spirituellen Lehrer sprechen. Weil es jetzt auch deine Erfahrung ist. Das alles ist jetzt kein Mysterium mehr, sondern Tatsache.

Du fühlst dich sehr befreit. Das selbstbezogene Denken ist überflüssig geworden. All die „Selbstverbesserungs-Gedanken“ hören auf, denn es spielt keine Rolle mehr. Du weißt, dass du nicht mehr oder weniger wert bist, besser oder schlechter.

Nach einer Weile bemerkst du, dass du reagierst auf das, was ist. Das fühlt sich erst mal sehr seltsam an. Vielleicht wird dein Verlangen sehr stark. Nach Süßiggkeiten, einem Bildschirm, nach Vergnügen. Du wirst wütend, ärgerst dich.

Das ist der nächste Filter.

Wunsch und Widerwillen

Es ist die Annahme, dass du etwas hast, was dich etwas haben lassen möchte (wie ein Vergnügen). Oder, was dich etwas nicht haben lassen möchte und es wegschiebt.

Wir holen etwas her oder wir stoßen etwas weg.

Ist das wahr?

Wenn klar ist, dass es keine Instanz gibt, die entscheidet oder kontrolliert, können Wunsch und Widerwillen sehr deutlicher zu spüren sein.

Ununterbrochen versuchen wir Angenehmes zu behalten und Unangenehmes wegzustoßen, mit mehr oder weniger Erfolg. Wenn etwas nicht so ist wie wir es uns vorstellen, starten die Gedanken und überlegen, was wir tun können, um das Gewünschte zu erreichen. Oder die Reaktion ist so schnell und heftig, dass wir nur die Wut und den Ärger fühlen oder in Tränen ausbrechen.

Wir schauen die ganze Zeit, ob es vielleicht etwas Besseres gibt, was wir haben könnten. Damit wir uns besser fühlen oder weniger schlecht.

Das ist das von Sigmund Freud so genannte Lustprinzip. Wir suchen seit unserem ersten Atemzug immer danach uns gut zu fühlen. Das ist unser Grundprinzip. Der letzte Schritt zum Erwachen ist übrigens, dass uns klar wird, dass wir uns nicht immer gut fühlen können, so dass die Suche enden und wir im Frieden sein können.

Wie findest du Wunsch und Widerwillen?

Du schaust nach dem, was dich reagieren lässt und untersuchst es, wie unter einem Mikroskop.

Kevin Shanilec hat eine gute Methode gefunden Wunsch und Widerwillen untersuchen zu können.

Eine konkrete Anleitung gibt es hier.

Bei der Untersuchung wirst du herausfinden, dass ganz kurz nach einer Situation oder nach Gedanken Körperempfindungen zu spüren sind. Und darauf folgt eine Reaktion. Wunsch und Widerwillen sind der Trigger für die Reaktion.

Ist das wahr?

Die Körperempfindungen sind ein Köder. Wir angeln damit Wunsch oder Widerwillen. Wir arbeiten nicht mit den Empfindungen, denn dies ist keine Verhaltenstherapie. Fühle die Körperempfindungen und warte darauf, dass Wunsch oder Widerwillen auftauchen. Kommt irgendetwas hoch, dass dich in die Reaktion zieht?

Wenn diese Frage beantwortet ist, wirst du dies klar erkennen. Du wirst absolut okay sein, mit dem was ist. Du wirst nicht mehr emotional geladen auf etwas reagieren. Du hörst auf am Erleben zu zerren und zu ziehen.

Jetzt bist du bereit die Realität selbst zu untersuchen.

Subjekt Objekt Spaltung

Wir glauben, dass wir getrennt sind von allem anderen. Abgegrenzt. Dass es eine Grenze gibt, zwischen unserem Körper und der Umgebung. Getrennt von dem, was wir hören, was wir sehen, was wir fühlen, von unseren Gedanken.

Ist das wahr?

In dieser Untersuchung suchst du nach dem Subjekt. Und sobald du gesehen hast, dass es dieses Subjekt nicht gibt, fallen die Grenzen weg.

Du erfährst, dass es keine Trennung gibt. Das es nichts anderes außerhalb von dir gibt.

Wahrnehmung

Wir glauben, dass es eine Welt außerhalb von uns gibt, die sich in unserer Wahrnehmung spiegelt.

Wir glauben, dass Wahrnehmung unsere grundlegende Fähigkeit ist. Und eine Welt unabhängig von uns existiert. Oder wir unabhängig von der Welt existieren.

Wenn du etwas siehst, hörst, anfasst, dann erscheint das, was draußen ist, in deiner eigenen Wahrnehmung.

Ist das wahr?

Dies ist das Ende der Welt, wie du sie kennst.

Du realisierst, dass die Welt nicht außerhalb von dir ist. Nicht die Welt, die du erlebst. Wir können keine Welt außerhalb von uns selbst erleben.

Wir können nicht wissen, ob es außerhalb unserer Erfahrung noch etwas anderes gibt.

Ich bin

Was jetzt noch übrig ist, ist die Grundlage unserer Existenz. Das Gefühl von Ich existiere, Ich bin.

Ist das wahr?

Dieses Gefühl ist sehr subtil und wenn es wegfällt, wird keine Identität mehr da sein.

Du wirst dich nicht mehr als Frau oder Mann fühlen, als Mutter oder Vater, Christin oder Buddhistin, etc.

Du wirst kein Innen oder Außen mehr erleben.

Unruhe

Der nächste Schritt folgt sehr schnell. Eine sehr starke Unruhe. Die fieberhafte Suche nach etwas. Etwas sicheres. Etwas, worauf du dich verlassen kannst. Etwas, worauf du bauen kannst. Etwas, worauf du vertrauen kannst. Etwas, was es möglich macht, dich immer gut zu fühlen.

Es gibt etwas Substantielles. Etwas Dauerhaftes. Etwas Zuverlässiges.

Ist das wahr?

Die Unruhe legt sich irgendwann. Und der Blick wird klar.

Unwissenheit

Wir wissen nichts.

Ist das wahr?

Wir machen uns glauben, dass wir nicht wissen. Wir ignorieren die Wahrheit, weil wir sie nicht mögen.

Im letzten Shift wirst du klar sehen, was ist und was schon immer war.

Spirituelles Erwachen

Eigentlich ist es ein Witz, weil es immer da war. Wir wussten es immer. Es war nie anders.

Du kommst nirgends an.

Jetzt weißt du.

Alles, was was du hineingelesen hast – in das, was ist – um all diese Filter (Fesseln, Annahmen) zu kreieren ist weggefallen: Das Nichtwissen, die Suche, das Ich bin Gefühl, die Wahrnehmung, das Subjekt, Wunsch und Widerwillen, das Ich – alles weg.

Das was ist, ist das was ist und was es schon immer war. Es hat sich nicht verändert.