Was ist das Ich?

Gibt es ein Ich, das denkt, erlebt, wählt, entscheidet, handelt?

Früher hätte ich geantwortet: „Klar, gibt es das. Ich bin das! Ich denke, ich entscheide, ich handel!“

Ich bin es, die meinen Körper lenkt! Ich bin die Bestimmerin, die sagt, wo es lang geht! Die oberste Entscheidungszentrale. Die Pilotin. 

Aber dann passierte etwas, was mein Ich aus der Bahn warf. Ich schaute etwas genauer hin. 

Und nur eine kleine Beobachtung brachte alles ins Wanken.

Halte eine Hand mit der Handfläche nach oben vor dich von. Dann drehe die Handfläche nach unten – und wieder zurück. Mache das weiter und pass auf wie ein Adler: Gibt es irgendwen oder irgendetwas, das den Befehl zum Handumdrehen gibt und bewirkt, dass es geschieht, etwas, was die Bewegung kontrolliert?

Es liegt nahe, diese Sache nicht zu machen. Denn die Antwort liegt auf der Hand: Ich. Ich gebe den Befehl zum Handumdrehen. Ich kontrolliere die Bewegung. Ich doch ganz klar! 

Bisher ging ich einfach davon aus, dass das so ist. Diese Annahme habe ich noch nie in Frage gestellt. 

Aber gut, ich kann es ja mal versuchen.

Ich habe diese Sache mit der Hand immer und immer wieder gemacht und habe versucht dahinter zu kommen. Ich habe alles an meinem Körper immer wieder mal beobachtet. Es ist unheimlich. 

Der Körper macht eigentlich was er will. Ich sage ihm: Drehe die Hand. Und dann dreht sich die Hand. Oder sie dreht sich nicht. Oder sie dreht sich, ohne dass ich irgendetwas gemacht oder gesagt hätte. 

Überhaupt läuft alles so ab. Ich kann nichts kontrollieren. Es atmet alleine. Das Herz schlägt von alleine. Es läuft sich von alleine. 

Wenn ich den Versuch unternehme davon etwas zu kontrollieren, geht eher plötzlich alles schlechter, langsamer. Würde ich den Körper kontrollieren können, würde er wahrscheinlich nicht mehr funktionieren. Ich kann gar nicht alles auf einmal „am Laufen halten“. Es läuft also alles ganz automatisch ab. Ohne dass ich jemanden, auch nicht mich, oder etwas finde, das das Ganze kontrolliert.

Ich bin also nicht die, die kontrolliert und handelt. 

Aber sicher bin ich die, die denkt! 

Okay, schaue ich mir das mal genauer an.

Ich setze mich hin. Ein Gedanke kommt. Keine Ahnung, wo der her kommt. Er ist plötzlich einfach da. Dann verschwindet er. Und ein neuer Gedanke kommt. Ich kann nicht erraten, welcher Gedanke als nächstes kommt. Ich habe darauf auch überhaupt keinen Einfluss. Auch die Gedanken machen einfach was sie wollen. Die Gedanken stammen nicht von mir. Ich bin nicht die, die denkt! Hui, ist das unheimlich.

Aber sicher bin ich die, die erlebt. Die sieht, die hört, die riecht. 

Ich setze mich ins Gras und höre ein Geräusch. Ich entdecke die Grille, die das Geräusch macht. Die Grille kann ich sehen, das Geräusch kann ich hören. Aber wo ist das Ich, das hört? Erleben kann ich nur hören und sehen. Aber wo ist die, die erlebt?

Die sitzt doch da im Gras neben der Grille!

Aha, ich bin also der Körper!

Wenn ich das Wort „Körper“ denke, erscheint vor meinem inneren Auge eine Gestalt, die meinen Spiegelbild ähnelt, aber nicht so konkret. Meinen, oder den Körper spüre ich dabei nicht. Nur hier und dort einen leichten Druck, oder eine Bewegung – Spannung, Entspannung.

Interessant, sobald ich die Augen schließe kann ich nicht sagen, wie groß mein Körper ist. Ob er überhaupt eine bestimmte Form hat. Ich kann nicht sagen, wo mein Körper aufhört und der Fußboden anfängt. Ich spüre meine Zehen nicht. 

Wenn ich auf das Ich zeige, landet mein Finger auf meinem Brustbein. 

Aber ich spüre dort nur eine Bewegung. Auf und Ab. Manchmal einen leichten Druck. Und Wärme. Das ist alles.

Nichts von dem was ich dort spüre ist für mich ein Beweis für das Ich (mich).

Wenn ich denke „Ich, Steffi“ taucht nirgends ein Gefühl auf. Gar nichts taucht auf.

Ich habe trotzdem mal überall im Körper geschaut.

Ich spüre hier und da ein Kribbeln, vor allem in den Füßen und Fingern. Druck, Spannung und Entspannung. Bewegung, Wind in der Nase, hinter den Ohren spüre ich Wärme, Anspannung im Nacken, manche Stellen spüre ich gar nicht wirklich. Im Kopf ist ein Pulsieren und irgendwie ist auch eine große Leere zu spüren. Das ist irgendwie alles, was ich spüre.

Ob da irgendwo das Ich ist? Je mehr ich danach suche, je weniger weiß ich wonach ich suchen soll… nein, es ist schlimmer. 

Irgendwie versuchen meine Gedanken mich von der Suche abzuhalten. Einerseits habe ich außer Körperempfindungen nichts gefunden, aber dann habe ich plötzlich „vergessen“, was das Ich überhaupt ist. Ist das Ich nicht vielleicht das Kribbeln in den Fingern… oder der Atem… ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll. 

Kennst du diesen kurzen Moment der Panik, wenn man draußen vor der Tür steht und seinen Schlüssel nicht finden kann?

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